Mit dem Rocky Mountaineer durch Kanadas Berge (2024)

Die Eisenbahn ist in Kanada viel mehr als ein Transportmittel, sie hat 1885 das riesige Land geeint. Der schönste Abschnitt der transkontinentalen Bahnstrecke ist die Strecke zwischen Vancouver und dem Banff Nationalpark. Und die luxuriöseste Art, sie zu bereisen, ist eine Fahrt mit dem Rocky Mountaineer. Text: Florian Sanktjohanser

»Ein Bär, ein Bär!«

Die Silberschöpfe im Speisewagen lassen ihr Besteck fallen und sind aufgeregt wie Kinder. Hektisch greifen sie nach ihren Kameras, aber es ist zu spät. Der Schwarzbär neben den Schienen ist schon aus den Panoramafenstern verschwunden. Die Aussicht auf dichten Nadelwald, einen See und darüber schneebedeckte Gipfel aber bleibt grandios, wie fast die gesamten zwei Tage, in denen der Rocky Mountaineer von Vancouver nach Banff rollt.

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Die Fahrt in den Waggons mit Glasdach gehört zu den luxuriösesten Zugreisen der Welt. Doch was für die Touristen heute eine hübsche Spazierfahrt ist, war für die Ingenieure vor rund 130 Jahren ein Alptraum. Sie mussten eine Bahnstrecke durch die engen Täler der Rocky Mountains treiben, um den Osten und den Westen des riesigen Kanadas zu verbinden – und das in zehn Jahren. So hatte es der erste Premierminister Sir John A. Macdonald den Siedlern und Goldschürfern in British Columbia versprochen. Macdonald fürchtete, dass diese sich ansonsten den USA anschließen würden, die im Jahr 1867 Alaska den Russen abgekauft hatten.

Das Vorhaben gelang. Am 7. November 1885 hämmerte Donald Smith, ein Großaktionär der Canadian Pacific Railway, den letzten Nagel in die Erde. »Einen eisernen«, präzisiert Zugbegleiterin Michelle, als das Denkmal in Craigellachie gerade vor dem Fenster vorbeizieht. Für einen Goldnagel sei der Schotte Smith zu geizig gewesen.

viele Anekdoten zu berichten

Michelle und ihre Kollegen haben während der zweitägigen Fahrt viele Anekdoten zu erzählen. Von dem Farmer, der im Sommer immer nackt arbeitete und auf die vorbeifahrenden Züge schoss, weil ihr Signalhorn seine Kühe krank machte. Oder von den 23 Kamelen, die ein Unternehmer während des Goldrauschs ins Fraser Valley brachte, um die Schürfer mit Proviant zu versorgen. Weil ihre Hufen zu weich für das felsige Gelände waren, wurden sie schließlich in die Wildnis entlassen. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts sollen Reisende sie gesehen haben.

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Dem Fraser Valley folgt die Bahnlinie den Großteil des ersten Tages, nachdem sie die grünen Vororte von Vancouver hinter sich gelassen hat. Einst errichtete die Hudson Bay Company Handelsposten entlang des Fraser Rivers, um so die Pelze von Bibern und Bären zu exportieren. 1858 fand man in der Gegend Gold. Auf dem Höhepunkt des Goldrauschs war Yale mit 20.000 Einwohnern die größte Stadt westlich von Chicago und nördlich von San Francisco – und ein gesetzloser Fleck mit 14 Saloons. Heute leben nur noch 200 Menschen in dem Kaff.

Die beliebteste Route: das Original von 1990

Hinter Yale werden die Hänge der Schlucht steiler, der Fraser River wilder. Lunchtime. Im Restaurant bekommt Fred Witte Rinderrippchen mit Kartoffelbrei und Weißwein serviert. Der Renter ist vor 54 Jahren aus Deutschland ausgewandert und lebt jetzt in Casino Village in Australien. In seiner neuen Heimat hat er bereits einige Zugreisen gemacht, mit dem Indian Pacific und dem Ghan.

Aber die waren nicht so luxuriös wie dieser Zug.

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Witte hat den Rocky Mountaineer im Paket mit einer Kreuzfahrt nach Alaska gebucht, so wie viele Reisende in der GoldLeaf-Klasse – so viele, dass das Unternehmen eine neue Route bis Seattle gestartet hat, wo die Kreuzfahrtschiffe ablegen. Es ist die fünfte Variante, zuvor wurden unter anderem Fahrten nach Whistler und Jasper aufgelegt. Die beliebteste Route bleibt aber das Original von 1990, »First Passage to the West«. Und ihr erster Höhepunkt ist das Tor zur Hölle.

»Hell’s Gate« nannte Simon Fraser, der Erforscher des Tals, im Jahr 1808 den engen Canyon mit seinen mächtigen Stromschnellen. Heute spannt sich eine rote Brücke über die 34 Meter enge Schlucht, Gondeln bringen Reisende vom Trans Canada Highway zu einem Aussichtspunkt herab. Auch auf der Fotoplattform zwischen den Waggons wird eifrig geknipst, wie jedes Mal, wenn die Zugbegleiter einen Fotopunkt ankündigen: den Rainbow Canyon, den oxidierte Mineralien rot, gelb und grün schimmern lassen. Die Hoodoos, erodierte Felsen, die laut einer Legende böse Giganten sind, die nachts Steine auf Reisende werfen. Oder das Minenstädtchen Ashcroft, das wie ein Wildwestort in Arizona aussieht.

Am Ufer lümmelt ein Kojote

Die Gegend liegt im Regenschatten der Küstenberge, selbst um den Kamloops Lake krallen sich nur wenige Bäume und Kakteen in die trockene Erde. Am Ufer schleicht ein Kojote entlang, wieder große Aufregung. Zumindest die Dickhornschafe auf den Hängen halten für ein Foto still. Auf der anderen Seite des Sees fährt derweil einer der kilometerlangen Güterzüge, mit denen sich der Rocky Mountaineer die Gleise teilt und deshalb immer wieder stoppen muss. Die Frachtzüge nach Westen sind mit Kohle, Weizen, Holz und Sulphur beladen, nach Osten bringen sie Konsumgüter aus Asien. »Als wir einmal stoppten, kam ein Grizzlybär immer näher«, erzählt Peter Maseija, der Zugmanager aus Prag.

30 Meter entfernt setzte er sich hin und aß das Getreide, das von einem Zug gefallen war. Er blieb eine volle Viertelstunde.

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In Kamloops endet die erste Tagesetappe. Das unscheinbare Städtchen nennt sich »Turnierhauptstadt Kanadas«, Eishockey- Baseball- und Rugbyteams kommen hierher, um ihre Meisterschaften auszuspielen. Wohl auch, weil sich hier vier Highways und zwei Eisenbahnlinien kreuzen. Touristen hat Kamloops wenig zu bieten außer ein paar Pubs mit abenteuerlichen, vor Ort gebrauten Bierkreationen. Aber am nächsten Tag geht es ohnehin um 6:15 Uhr weiter.

Millionen Lachsen

Bescherung am Morgen. Die Gäste packen ihre Plastiktüten voller Souvenirs aus, die sie gestern bestellt haben: Rocky Montaineer DVDs, Jacken, Poloshirts und Rucksäcke. Regen perlt über die Panoramafenster, Nebel hängt zwischen den Tannen, Douglasien und Birken. Der Zug rollt um den Shuswap Lake bis zur Mündung des Adam Rivers. Die seichten Kiesbetten sind jeden Spätsommer das Ziel von Millionen Lachsen, die Fraser und Thompson River hochschwimmen, um hier zu laichen.

»Im August und September sind sie oft vom Zug aus zu sehen, manche springen aus dem Wasser«, sagt Michelle. Im Jahr 2010 sollen es 34 Millionen gewesen sein, die größte Lachswanderung der Welt – und ein Fest für Bären, Wölfe und Kojoten.

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Im Sommer tuckern Hunderte Hausboote über den See, den unterirdische Quellen auf mehr als 20 Grad erwärmen. An diesem verregneten Tag Ende Mai liegt er still da, Baumstämme treiben vor einem Sägewerk im Wasser. Entlang des Eagle und Columbia Rivers geht es weiter bis Revelstoke, dem jüngsten Skigebiet in den kanadischen Rocky Mountains. Doch die Wolken verhüllen die Skipisten ebenso wie die 422 Gletscher im Glacier National Park. Den Fotografen auf der nasskalten Plattform im Freien bleibt die Stoney Creek Bridge, die in knapp 100 Metern Höhe einen Gebirgsbach überquert. Und die Rafter in ihren fünf Booten, die ihnen auf dem Kicking Horse River zuwinken.

Entspannen in den heissen Quellen

Je höher der Zug klettert, desto mehr kommt das Glasdach zu seinem Recht. Frischer Schnee liegt auf den Bergen, die ringsum in den Himmel ragen. Kurz vor der Wasserscheide Nordamerikas wird das Gelände am Big Hill so steil, dass in den ersten Jahren nach dem Bau der Strecke viele Züge abwärts entgleisten.

1907 fanden Ingenieure in der Schweiz die Lösung. Nach dem Vorbild der Biaschina-Schlucht sprengten sie zwei Spiraltunnel in Mount Ogden und Cathedral Mountain. Die Züge fahren nun auf zwei großen Schleifen durch die Berge. »Wenn ein Zug 80 Waggons hat, kann man im ersten den letzten unter sich in den Tunnel fahren sehen«, erklärt Michelle.

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Die Reise geht ihrem Ende entgegen. Ein paar Passagiere steigen bereits in Lake Louise aus, die meisten aber bleiben bis Banff sitzen. So wie die Reisenden in der ersten Klasse vor mehr als 100 Jahren, die wegen des heilenden Wassers kamen. 1883 hatten drei Bahnarbeiter heiße Quellen in einer Höhle gefunden. Zwei Jahre später erklärte die Regierung das Gebiet um Banff zum ersten Nationalpark Kanadas, die Bahngesellschaft baute Luxushotels für die Kurgäste. Die Höhle ist heute Teil eines Museum. Das Baden hier ist nun zum Schutz seltener Schnecken im Wasser verboten. An den Upper Hot Springs am Sulphur Mountain aber kann man weiter im Thermalwasser entspannen und den Blick über die Bergketten ringsum schweifen lassen, ganz wie die Bahnreisenden vor 100 Jahren.

Anreise. Zahlreiche Airlines fliegen nach Calgary, Seattle und Vancouver, wo die fünf Routen starten.

Reisezeit. Der Rocky Mountaineer fährt von Ende April bis Anfang Oktober. Als beste Reisezeit für Kanadas Westen gelten Mai und Juni sowie September und Oktober. Juli und August bieten die besten Bedingungen für Wanderer in den Rockies.

Sprachen. Im Westen Kanadas wird Englisch gesprochen, und auch im Zug sind alle Erklärungen auf Englisch. An bestimmten Termin gibt es 2014 auch deutsche Reisebegleitung. Die Zugzeitung mit Erklärungen zu Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke gibt es auch auf Deutsch.

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